„Wenn du dich wirklich weiter entwickeln willst, musst du in dich investieren. Sei es dir wert.“ – So oder so ähnlich klingt das typischste Verkaufsargument von ganz miesen bis hin zu ganz guten Coaches. Woher ich das weiß? Nun ja, zum einen sehe und höre ich seit Jahren genau hin. Und zum anderen habe ich in einem Selbstversuch einige Coaches auf Herz & Nieren getestet. Inkognito natürlich. Aber mit wahren Geschichten und festen Absichten. Von meinen Erfahrungen erzähle ich dir nun. Mein Ziel: Dir das Geschäft mit unserem lieben Geld aufzeigen. Also los gehts!
Dies ist die Fortsetzung der Aufklärungsreihe#1: Warum Coaching ein perfides Geschäft ist.
Inhaltsverzeichnis
Was habe ich angestellt und mit wem?
Ich habe mich zur „Testperson“ gemacht und mich für Coachings bei verschiedenen „Experten“ beworben.
Eine Sache vorweg: Ich werde keine Namen nennen. Das wäre womöglich geschäftsschädigend für die betreffenden Coaches! Und selbst wenn ich manchmal garstige Momente habe und wünschte den „Experten“ würde kräftig auf den Zahn gefühlt werden, so ist das einfach nicht meine Art sie öffentlich schlecht zu machen.
- Ich war eine junge Angestellte, frustriert im Job, unerkannt in ihrem Potenzial und wollte meine Geschäftsidee in die Realität umsetzen. Dafür testete ich ein Millionen schweres und auf dem Markt ziemlich bekanntes Coaching-Unternehmen. Ihr großes Werbeversprechen ist ein persönliches Gespräch mit der Geschäftsführung. Zudem heißt es, dass dieses Coaching-Unternehmen seit vielen Jahren Menschen dabei hilft ein eigenes finanziell florierendes Business aufzubauen. Erfolg ist quasi garantiert.
- Ich war eine junge Mama, gepeinigt vom Haushalt, frustriert in der Beziehung, innerlich einsam und auf der Suche nach spiritueller Begleitung, um meine wahre Bestimmung zu finden. Dafür testete ich einen Coach aus dem Bereich der Persönlichkeitsentwicklung. Die Person spricht von Bestimmung und transformierenden Erfahrungen dank ihrer Fähigkeit den Seelenplan einer Person zu erkennen. Ein höheres Bewusstsein im Leben ist quasi garantiert.
- Ich war eine depressive Frau, seit Jahren in Therapie, aber noch lange nicht am Wunschzustand angelangt und deswegen nach jedem Strohhalm suchend. Dafür testete ich einen Coach, die selbst von sich behauptet jahrzehntelang psychische Probleme gehabt zu haben. Nun sei alles anders und die Person verspricht alle Blockaden innerhalb kürzester Zeit zu lösen. Lebensqualität und „Heilung“ ist quasi garantiert.
Wie lange und warum habe ich das getan?
Für meine Testreihe habe ich weder Zeit noch Geld gescheut. Meine drei „Testobjekte“ und viele andere Coaches habe ich über ein Jahr in ihrer Internet-Präsenz beobachtet und begleitet. Viele davon sogar viel länger. Ich habe mir Zeit genommen mir ihre Videos anzuschauen, ihre Webinare zu besuchen und ihre Texte durchzulesen. Mit meinen drei auserwählten Coaches hatte ich persönlichen Kontakt. Auch mit vielen anderen bin ich in Kontakt getreten und habe klares Interesse an ihrem Programm und Coachings gezeigt.
Mit meinen drei Auserwählten hatte ich mindestens ein Kennenlerngespräch. Ein Coaching gebucht habe ich bei keinem der dreien. Dafür war ich zu abgeschreckt von der perfiden Art, die mir präsentiert wurde …
Mein Selbstversuch kommt bei weitem nicht an eine ordentliche wissenschaftliche Studie heran. Dennoch glaube ich, dass meine Erfahrungen wichtige Erkenntnisse über den Coaching-Markt zeigen.
Meine Motivation: Es gibt keinerlei „Verbraucherschutz“, wenn es um Coaching geht. Aber es gibt tausende hilfesuchender Menschen, die auf dubiose Maschen hereinfallen und dabei nicht nur ihr Geld verlieren, sondern auch Würde und sogar ihr seelisches Heil riskieren. Ich finde es wird Zeit offen über Coaching zu sprechen und kritisch zu hinterfragen, was daran gut und was eben nicht gut ist.
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Meine Erfahrungen als „Testperson“
Die junge Angestellte und das schnelle Geld mit Coaching
Das international bekannte Coaching-Unternehmen reizte mich am meisten. Alles, was ich darüber erfuhr, klang solide. Und verdammt verlockend! Es gab sogar einen Augenblick, da hatten die mich überzeugt. Ihr Coaching-Konzept, ihre Firmenphilosophie, die Geschäftsführung – alles war einladend und hoch interessant!
Nach einem Webinar buchte ich ein 20-minütiges Kennenlerngespräch mit der Geschäftsführung persönlich(!!). Mir wurde versprochen sich mit meinen Themen auseinanderzusetzen. Zudem wurde versichert mir im Gespräch bei meinem Businessplan zu helfen und mir erste Tipps zum Geschäftsaufbau zu geben. Das in 20 Minuten? Naja. Sind auch Profis am Werk …
Als das Gespräch über Skype begann, war ich überrascht und enttäuscht zugleich. Das Gespräch führte nicht die charismatische Geschäftsführung, sondern irgend eine mir völlig unbekannte Frau. Eine Mitarbeiterin? Keine Ahnung. Sie sagte mir nur wie sie heißt, ansonsten keine weitere Vorstellung … Das fing schon schräg an!
So war mein Kennenlerngespräch
20 Minuten sind eine kurze Zeit und wir kamen schnell zur Sache. Ich wurde gleich gefragt, was ich beruflich mache, was mich in meinem Beruf frustriert und warum ich ins Coaching-Business will.
Ich erklärte meine Frustration im Job und dass ich einen höheren Beitrag leisten will. Ich erklärte meine Beweggründe und stelle meine Geschäftsidee vor. Die war (ist) übrigens ziemlich innovativ und hat tatsächlich Zukunftspotenzial. 😉
Die Dame wirkte skeptisch. Zuerst wurde meine Geschäftsidee für schlecht befunden. Damit könne man nicht schnell Geld machen! Dann versuchte sie mich zu provozieren und brachte mich in die Rechtfertigung. Das ist ein psychologischer Trick, mit dem die Motivation und Standfestigkeit getestet werden. Sprich: Kannst du für deine Idee einstehen und brennst für deinen Wunsch, wird auch was draus. Übrigens ist das eine beliebte Manipulationstechnik auf dem Coaching-Markt.
Ich konnte standhalten. Und ich merkte an, dass meine Idee vielleicht ungewöhnlich klingt, aber umso genialer ist. Hatte übrigens was mit psychischer Gesundheit zu tun. 😉
Doch die Dame wurde immer unfreundlicher und lenkte das Gespräch gleich auf die Kosten des Coachings. Sie hatte mir bis dahin NICHTS über das Coaching erzählt. Aber sie fragte mich geradeaus, wie ich ein Coaching in diesem ach so bekannten Unternehmen finanzieren will.
Ein Gesprächsfetzen
Ich: „Also ich habe was angespart. Wie viel kostet das Coaching denn?“
Sie: „Das sind 22.000,- Euro, mit denen wir einsteigen. Bist du es dir wirklich wert?“
Und ich so: „Oh, mit so viel habe ich nicht gerechnet.“
Und sie: „Dann willst du es nicht wirklich.“
Ich: „Das hat doch damit nichts zu tun. Ich will mich selbstständig mit meiner Idee machen. Mir war nur nicht klar, dass euer Coaching so teuer ist.“
Sie: „Du musst dir an der Stelle überlegen, wie du es finanzieren willst. Ich kann dir dazu nur soviel sagen, dass das Geld zu dir kommen wird, wenn du es dir erlaubst. Du musst es dir wert sein in dich zu investieren.“
Ich: „Ich habe einige Rücklagen. Den Rest müsste ich über einen Kredit finanzieren. Aber das muss ich zuerst in Erfahrung bringen, ob und wann ich den Kredit bekomme.“
Sie: „Das klingt nicht so, als seist du dir sicher, dass du deine Idee in die Tat umsetzen willst. Wir haben ein sehr gefragten Modell. Wenn du dabei sein willst, musst du schnell sein.“
Ich: „Was genau heißt das?“
Sie „Entweder du investierst in dich und dein Zukunft und bist dir sicher, dass du es wert bist. Dann wirst du auch Erfolg haben. Oder aber du musst in deinem Angestelltsein bleiben.“
Das ging tatsächlich auf diesem Niveau noch weiter …
Fazit
- ALLES, was vor dem Kennenlerngespräch versprochen wurde, hat NICHT stattgefunden. Kein Gespräch über einen Businessplan, keine Tipps zum Geschäftsaufbau. Alles, wo es vorher hieß „Ich zeige dir, WIE du ein lukratives und erfolgreiches Coaching-Business aufbaust“, war eine Niete.
- Die Mitarbeiterin war unfreundlich, die Gesprächsführung einseitig und unangenehm.
- Meine Geschäftsidee wurde ohne eine sachliche Begründung abgewertet. Auch hier gab es keine Tipps für Verbesserung.
- Das Gespräch endete damit, dass ich mir klar werden musste, warum ich es mir nicht wert bin auf die Schnelle 22.000,- Euro aufzutreiben. Ich könnte mich bis Mittag dem kommenden Tag melden. Wenn nicht, kriege ich keinen ach so gefragten Coching-Platz.
- Das Gespräch dauerte genau 19 Minuten. Die Dame schaffte es, dass ich mich am Ende miserabel fühlte. What the fuck?!
Die junge Mama und die Suche nach Bestimmung
Der Coaching-Markt ist eine Heimstätte für selbsternannte Gurus, Heiler, Seelentaucher, Sinnstifter und Medien.
Ich habe einen Coach aus dieser Szene kontaktiert, die sich selbst als „Alchemistin“, „Visionärin“ und „im höheren Bewusstsein“ lebend bezeichnet. Die Person ist mir durch ihre positive Ausstrahlung aufgefallen. Ihre Texte und ihre Art zu sprechen sind einladend, liebevoll und lebensbejahend. Die Person verkörpert die Überzeugung, dass jeder Mensch mit einer bestimmten Aufgabe auf die Welt kommt. Sie spricht vom Seelenplan. Von Bestimmung und Lebenssinn. Sie verspricht ein erfülltes, glückliches und inspiriertes Leben, wenn man nur den eigenen Seelenplan erkennt.
Ich habe schriftlich Kontakt aufgenommen und mir wurde ziemlich schnell ein 20-minütiges Kennenlerngespräch angeboten. In diesem Gespräch wollten wir klären, ob ihr Coaching das Richtige für mich ist. Sie bot ein Coaching-Paket an, das quasi ein neues Leben versprach. Wer sehnt sich denn nicht nach einer besseren Version seines tristen Lebens? Ich also zugesagt …
So war mein Kennenlerngespräch
Das Gespräch fand am Telefon statt. Es war tatsächlich genau diese Frau dran. Das Gespräch ging los mit „Was führt dich denn zu mir?“ Eine ganz schön offene Frage. Mein schauspielerisches Talent war gefragt und ich spielte die junge ausgebrannte Mama, die sich wertlos fühlt und irgendwie den Anschluss ans Leben verloren hat.
Interessanterweise hat sie mich kein einziges Mal gefragt, was ich mir denn wünsche. Stattdessen gingen wir durch, was mein Problem ist. Daraufhin erzählte sie mir, was sich alles in ihrem Leben transformiert hat. Wie unglücklich sie früher mal war. Und wie toll jetzt alles sei. Und der Schlüssel: Sie erkannte ihren Seelenplan. Und nachdem sie ihren Seelenplan erkannte, stellte sie fest: Hey ich hab ja auch die Fähigkeit den Selenplan anderer Menschen zu erkennen. Also machte sie es zu ihrer Berufung die Seelen anderer Menschen zu lesen. Mensch als Psychologin wäre ich da vor Neid fast erblasst *Ironie aus*.
Und dann war ich neugierig. Ich fragte sie, wie sie denn diesen Seelenplan herausfindet. Und wie das im Coaching genau aussieht. Was das denn für ein Coaching wird. Wie lange es dauert und wie viel es kostet. Was man eben so fragt als potenzieller Kunde.
Wie sie arbeitet, blieb ein Geheimnis. Aber 5 Sitzungen gibt es im Coaching-Paket für 6.500, Euro. Jede Sitzung 75 Minuten lang. Aber weil sie direkt eine Verbindung zu mir spürte, machte sie einen Rabatt für mich. Ich sollte 4.990,- Euro zahlen. OHA… was für Summen!!
Ein Gesprächsfetzen
Ich: „Ich habe noch nie ein Coaching gemacht. Und ich habe mich auch noch nie getraut so viel Geld auszugeben. Also für mich. Das ist viel...“
Sie: „Dann wird es höchste Zeit, dass du auch an dich denkst. Was ist dir denn dein Geld wert, wenn du ein unglückliches Leben führst?“
Ich: „Ja klar, Geld ist nicht das Wichtigste. Aber ich habe schon etwas Angst, dass mir das vielleicht doch am Ende nicht so viel bringt und was sage ich dann meinem Mann? Dass ich mal eben 5.000,- Euro verloren habe?“
Sie „Wenn du so denkst, lebst du wie die meisten Menschen im Minderwertigkeitsbewusstsein. Das blockiert den Fluss des Guten in deinem Leben.“
Ich: „Hmmm…“
Sie: „Du musst an dem Punkt ankommen, dass du es dir wert bist in dich zu investieren. Male dir doch mal aus, wie sich dein Leben transformieren und heilen wird, wenn du dein wahres Selbst erkennst. Ich spüre jetzt schon, dass du zu Höherem bestimmt bist. Was ist es dir am Ende wert endlich bei dir selbst anzukommen?“
So ging es eine Weile weiter und immer wieder kam ich in die Lage mich zu rechtfertigen, weil mich die 4.990,- Euro doch etwas abschreckten. Rechtfertigen musste ich mich dafür, dass ich es mir angeblich nicht genug wert sei. Angeblich eines meiner Kernprobleme.
Fazit
- Das Gespräch dauerte genau 21 Minuten. Der Fokus lag auf meinen Problemen. Meine Wünsche wurden kein einziges Mal angesprochen.
- Mir wurde ohne Weiteres versprochen all meine Probleme lösen zu können. Aber WIE blieb ein Geheimnis. Immer wieder hieß es: „Das wird sich alles in kürzester Zeit transformieren.“ Krasse Erfolge wurden bereits nach 3 Sitzungen versprochen.
- Die Dame war ausgesprochen freundlich und lieb, aber rückte mit der Sprache über ihre Arbeitsweise und Methoden nicht raus. Wie zur Hölle erkennt sie einen Seelenplan? Mich hätte es ja interessiert, aber okay…
- Ich erfuhr auch nichts über ihren Background. Hat sie eine Ausbildung? Wo hat sie das Coaching gelernt? Keine Ahnung…
- Aber ich MUSS es mir wert sein in mich zu investieren, DAMIT sich ein besseres Leben manifestiert. Und wenn ich ihre Preise hinterfrage, ist es mein Ego, das am Weltlichen festhält.
Die depressive Frau und die Suche nach Lebensqualität
Es ist kein Geheimnis, dass jährlich Millionen Menschen leer ausgehen, was einen Psychotherapieplatz angeht. Der Coaching-Markt hat auch hierfür seine profitbewussten Öhrchen gespitzt und hält Lösungen parat. Es wird von Heilung gesprochen, Psychotherapie wird subtil schlecht gemacht und Coaching als Abkürzung zum besseren Leben angepriesen.
Ich habe einen Coach kontaktiert, die öffentlich damit wirbt selbst früher an psychischen Problemen gelitten zu haben. Bei dieser Person seien es Depressionen und eine Angststörung gewesen. Keine Psychotherapie habe ihr geholfen, bis sie DIE EINE Methode gefunden habe, die ihrem Leben eine neue Wende ermöglichte. Klang ja wieder zu gut, um wahr zu sein oder? Dieser Coach verspricht ein größeres Selbstvertrauen, mehr Lebensfreude und Erfolg durch ihr einzigartiges Coaching.
Wir schrieben uns eine Weile hin und her über den FB Messanger. Ich zeigte erstmal Interesse an ihrer Person, wurde aber sehr schnell zu einem Gespräch geladen. So nach dem Motto: „Wir können uns gerne über mich und mein Coaching unterhalten. Aber am liebsten im Vorgespräch und am liebsten du buchst mich oder du lässt es.“ Also vereinbarte ich ein Vorgespräch von 30 Minuten mit ihr.
So war mein Kennenlerngespräch
Unser Gespräch fand bei Skype statt. Es war genau die Frau dran, die ich im Internet bereits auf Social Media kennen gelernt habe. Immerhin! Das Gespräch ging ganz angenehm los mit Fragen zu meiner Geschichte und zu meiner Person. Die Dame fragte mich sogar, was ich mir wünsche.
Ich gab an in einer Psychotherapie zu sein. Aber eben nicht zu 100% zufrieden. Außerdem sagte ich, dass ich nur noch 10 Sitzungen und danach keinen Anspruch auf Therapie mehr hätte. Aber dass sich meine Depression einfach nicht bessert und ich nicht weiß, wie es nach der Therapie weiter gehen soll.
Ich habe mir Verständnis, Mitgefühl und Optimismus gewünscht. Stell dir vor du sitzt in der Patsche und wünscht dir so sehr, dass dir einer hilft. Da will man keine Verkaufsschlager hören. Doch leider landete ich im Verkaufsgespräch.
Nach nur 15 Minuten hieß es: „Mein Coaching kostet 350,- Euro pro Sitzung. Eine Sitzung dauert 60 Minuten. Aber du kannst auch ein Paket kaufen. Ich würde dir raten mit einem kleinen Paket anzufangen, das ist günstiger. Und dann kannst du einzelne Sitzungen dazu buchen.“
Ein Gesprächsfetzen
Ich: „Ich habe schon einiges an Therapieerfahrung. Habe jetzt meine zweite Therapie gemacht. Aber die endet auch bald und da weiß ich nicht, wie es weiter gehen soll. So schnell kriege ich nirgends einen Platz. Außerdem weiß ich nicht mehr, ob mir Therapie weiter helfen kann.“
Sie: „Du hast den richtigen Riecher. Psychotherapie ist ein veraltetes Modell. Heutzutage kommst du mit einem persönlichen, intensiven Coaching wesentlich schneller weiter. Ich selbst habe auch Therapien gemacht, aber die haben mir nie weitergeholfen. Dann habe ich ein Coaching gemacht, Und jetzt führe ich dieses tolle Leben und kann sogar selbst jungen Frauen wie dir helfen.“
Ich: „Das klingt wirklich toll. Ich habe null Erfahrung mir Coaching. Aber wenn es mir weiterhilft?“
Sie: „Oh ja, ich war früher auch unglücklich und litt sehr unter meinen Ängsten. Ich traute mich manchmal nicht mal vor die Haustür. Jetzt führe ich ein eigenes Business und habe viele Anfragen. Alles Frauen, denen es ähnlich geht wie dir.“
Ich: „Wie arbeitest du denn in deinem Coaching? Also was genau machst du da?“
Sie: „Ich arbeite mit Mantren, mit dem Gesetz der Anziehung, mit der Körpertherapie und anderen Methoden.“
Ich: „Hast du dich darin ausbilden lassen?“
Sie: „Ich habe selbst eine Menge Therapie und ein Coaching gemacht. Ich habe mich dann von meinem Coach selbst zum Coach ausbilden lassen.“
…
Ich: „Und du meinst das wird mir weiterhelfen? Ich bin so unsicher… Und das ist viel Geld für mich.“
Sie: „Na du hast doch schon eine Menge gemacht. Buch doch einfach das Coaching. Eine Sache mehr wird doch nicht schaden. Außerdem ist das größte Problem bei Depression, dass man es sich selbst nicht wert ist. Der erste Schritt in eine bessere Zukunft wird sein, wenn du in dich investierst.“
…
Ich: „Und wie viele Sitzungen werde ich brauchen, bis ich was merke?“
Sie: „Ich habe damals schon im ersten Monat eine große Veränderung in meinem Leben gespürt. Ich bin mir sicher, dass es bei dir auch schnell gehen wird. Und wenn nicht, kannst du immer wieder Sitzungen nachbuchen.“
Fazit
- Dieser Coach hatte keine Coaching-Ausbildung (oder ähnlicher) absolviert. Gearbeitet wurde mit einer Palette an Methoden, die sie selbst in einem Coaching erfahren oder anscheinend sich aus Büchern zusammengesucht hat. 350 Euro pro Sitzung erschienen mir zu hoch gegriffen.
- Die Dame sprach unheimlich gerne über sich und ihre eigenen Erfolge. Kann inspirieren, motivieren und anstecken. Kann genauso völlig daneben sein, wenn sie sich so in den Vordergrund stellt.
- Sie klärte nicht ab, welche Krankheitssymptome ich habe und klärte mich nicht darüber auf, in welchem Fall sie mit mir NICHT zusammen arbeiten darf. Stattdessen pauschalisierte sie meine Depression auf allgemeine Aussagen und pries Coaching als DIE Methode der Wahl an.
- Bei meinen Zweifeln und meiner Unsicherheit wurde sie ungeduldig und kürzte das Gespräch ab. Nach 25 Minuten war Schluss und wir verblieben so, dass ich mir den Wert meiner Gesundheit überlegen soll. Bin ich es mir wert, werde ich schon die richtige Entscheidung treffen.
Coaching und das liebe Geld – was lernen wir daraus?
Es hat Spaß gemacht den Coaches auf den Zahn zu fühlen. Aber es war mindestens genauso anstrengend, frustrierend, wie enttäuschend.
Die Gespräche waren allesamt zu kurz.
Es gab kaum eine erkennbare Gesprächsführung, bei der es wirklich um inhaltliche Zusammenarbeit ging. Stattdessen landete ich in mehr oder minder offensichtlichen Verkaufsgesprächen.
Bei allen drei Coaches entstand der Eindruck, dass die Preise
1. willkürlich festgelegt waren. Niemand erklärte mir, warum so viel Geld verlangt wurde und was genau ich bekam.
2. grundsätzlich zu hoch festgelegt wurden. Eine Regel im Coaching-Business lautet schließlich, dass nur der Kunde vorankommt, der richtig viel Asche blechen kann.
Das Verkaufsargument bei allen war: „Sei es dir wert das Geld in dich zu investieren.“
Im Umkehrschluss bedeutete dies:
Wenn ich Zweifel an der Summe hatte, war ich es mir einfach noch nicht genug wert in mich zu investieren. Dann spielte mir mein Ego einen Streich. Ich war noch nicht bereit für Veränderungen. Oder mein Minderwertigkeitsgefühl war zu groß. Oder ich machte mich zu abhängig von anderen (mein Mann, die Versorgung der Kinder, der gering bezahlte Job, die kleine angesparte Summe, etc). Und wenn ich es mir nicht wert war, dann konnte auch kein besseres Leben in mein Leben treten. So einfach ist das.
Die versteckte Manipulation
Immer wieder wird der potenzielle Kunde auf sein Selbstwertgefühl hingewiesen und immer wieder dahin gedrängt eine Entscheidung für seinen Wert zu treffen.
Wer dann Zweifel hat, kommt in die Rechtfertigungshaltung. Und am Ende bleibt der potenzielle Kunde mit Gefühlen wie Scham, Versagen, Verzweiflung und hundert Fragen im Kopf zurück.
Wer also nicht bucht, darf und soll sich am Ende kacke fühlen. So nach dem Motto: „Naja wenn du es dir nicht wert bist, führ halt dein elendes Leben weiter. Ich kümmere mich dann mal um geile Kunden. Mit dir verschwende ich nicht meine Zeit. Tschüss.“
Was also steht im Coaching bei solchen „Experten“ im Vordergrund?
- Ist es wirklich das Ziel Menschen bei ihrem Business-Aufbau zu helfen?
- Ist es wirklich das Ausleben der eigenen Berufung in die Seelen anderer Menschen einzutauchen und den Menschen bei der Selbstfindung zu helfen?
- Ja, ist es wirklich das Ziel Menschen aus Depression, Selbstzweifel oder Angst in ein besseres Leben zu führen?
Mit Herz und Seele?
Vielleicht.
Oder ist es mit dem eigenen Coaching-Business und mit möglichst wenigen Kunden möglichst schnell und viel Geld zu machen?
Ich danke dir für deine Aufmerksamkeit!
Tatjana
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1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort
Danke für Mut und gute Idee so was unternehmen. Ganz intuitiv spüre ich hinter Kulisse solche Entwicklung. Leider sind viele Menschen wie verlorene Schaffe an falsche Weg. Entweder unsere Intuition oder Geschichte wie deine als Warnung helfen. Alles gute