Seit dem 1. April 2017 müssen Psychotherapeuten eine psychotherapeutische Sprechstunde anbieten. Das soll dafür sorgen, dass Hilfesuchende schneller einen Termin bekommen. Doch die Sprechstunde ist nicht gleichzusetzen mit einer Therapie. Wozu dient sie und wie kannst du sie für dich nutzen? In diesem Artikel biete ich dir Raum zur Vorbereitung auf die psychotherapeutische Sprechstunde. Eine gute Vorbereitung gliedere ich drei Punkte:
1. Wisse, wozu die Sprechstunde da ist.
2. Informiere dich gezielt über Termine.
3. Gehe vorbereitet zum Termin.
Lass uns nun diese drei Punkte durchgehen. Du bist herzlich eingeladen, dir den Text auszudrucken oder dir Notizen zu machen.
Wozu dient die psychotherapeutische Sprechstunde?
Die psychotherapeutische Sprechstunde dient als Orientierung für deinen weiteren Weg:
- In der Sprechstunde kannst du all deine Beschwerden und Probleme offen ansprechen.
- Der Therapeut schätzt deine Beschwerden und deine Situation ein. Er klärt dabei ab, ob du an einer psychischen Erkrankung leidest. Es wird also klinisch diagnostisch eingeschätzt, was mit dir los ist und du bekommst unter Umständen eine Verdachtsdiagnose. Diese vorläufige Diagnose wird mit dir besprochen.
- Dann beurteilt der Therapeut, ob du eine psychotherapeutische Behandlung benötigst oder ob dir andere Hilfsangebote weiterhelfen können. Nicht immer muss eine ambulante Psychotherapie durchgeführt werden. Je nach Problematik eignet sich eine Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe oder an einer Gruppentherapie, ein Besuch bei einer Beratungsstelle oder eine ganz andere Therapiemaßnahme. Falls notwendig, bespricht der Therapeut auch die Einnahme von Psychopharmaka mit dir.
- Dafür informiert dich der Therapeut über Möglichkeiten, die du im Weiteren ausschöpfen kannst. Richtig gut ist natürlich, wenn dir konkret einige Adressen angeboten werden. Das können Adressen von Psychiatern, von Beratungsstellen, von Selbsthilfegruppen oder von anderen relevanten Anlaufstellen sein.
- Um dir in deiner akuten Not zu helfen, kann der Therapeut einige therapeutische Methoden anwenden. Sprich, er darf dich „ein wenig therapieren“, um dich zu stabilisieren und dir schnelle Hilfe anzubieten.
In Summe wird all das mit dir mündlich besprochen. Aber du bekommst alle Informationen auch schriftlich.
Sonstige Infos:
- Du brauchst keine Überweisung für die psychotherapeutische Sprechstunde.
- Für Erwachsene kann ein Therapeut bis zu 6 Termine à 25 Minuten anbieten.
- Der Therapeut darf mehrere Termine à 25 Minuten zu längeren Terminen zusammen führen, z.B. zu einem Termin à 50 Minuten. Das halte ich für empfehlenswert.
- Bei Kindern und Jugendlichen können mit jedem Patienten bis zu 10 Termine à 25 Minuten vereinbart werden. Die Eltern der Kinder und Jugendliche dürfen sich bis zu 100 Minuten vom Therapeuten alleine beraten lassen.
- Die Teilnahme an der Sprechstunde mit mindestens 2 Sitzungen à 25 Minuten ist Voraussetzung für eine weitere Behandlung (z.B. für eine Akutbehandlung, Kurz- oder Langzeittherapie). Ausgenommen sind Patienten, die innerhalb von 12 Monaten aus einer stationären Behandlung entlassen wurden. Diese Patienten können gleich mit einer Akutbehandlung oder mit probatorischen Sitzungen für eine Kurz- oder Langzeittherapie beginnen.
- Wenn du eine Psychotherapie brauchst, kannst du sie bei dem gleichen Therapeuten beginnen, bei dem du an der Sprechstunde teilgenommen hast. Musst du aber nicht.
Informiere dich gezielt über Termine
Vermutlich wirst du dich zur psychotherapeutischen Sprechstunde anmelden, weil es dir nicht gut geht, du dich belastet fühlst und das Gefühl hast professionelle Hilfe zu brauchen. Vielleicht fühlst du dich sehr erschöpft, leidest unter Ängsten, fühlst dich antriebslos, kraftlos oder bemerkst andere besorgniserregende Veränderungen an dir. Vielleicht hast du das Gefühl die Kontrolle zu verlieren. Oder du bemerkst, dass du deinen Alltag nicht mehr so auf die Reihe kriegst, wie früher. Eventuell erlebst du gerade eine belastende Zeit, weil etwas in deinem Leben vorgefallen ist und dir den Wind aus deinen Segeln geraubt hat.
Wenn du dich belastet fühlst und unter deinem Zustand oder deiner Lebenssituation leidest, hole dir bitte Hilfe! So kommst du in die psychotherapeutische Sprechstunde:
Weg 1
Du bist gesetzlich krankenversichert und weißt nicht, welchen Therapeuten du anrufen kannst?
Dann kontaktiere die zuständige Kassenärztliche Vereinigung von deinem Bundesland. Eine Liste mit allen wichtigen Kontaktdaten habe ich HIER für dich zusammengestellt. Du kannst dir diese Liste mit einem Mausklick auf den Link jederzeit kostenlos herunterladen.
Die Kassenärztliche Vereinigung wird dir innerhalb einer Woche einen Termin bei einem Psychotherapeuten anbieten. Die Wartezeit zwischen deiner Anfrage und deinem ersten Termin zur Sprechstunde darf maximal vier Wochen betragen. Es kann also sein, dass du trotz erfolgreicher und schneller Vermittlung drei Wochen auf den Ersttermin in der Sprechstunde warten musst. Leider immer noch viel, aber besser, als 12 Wochen …
Ich rate dir, den ersten Terminvorschlag anzunehmen. Lehnst du den ersten Vorschlag ab, bekommst du einen zweiten. Lehnst du auch den zweiten Terminvorschlag ab, bekommst du keinen weiteren … also nutze bitte deine Chance.
Weg 2
Du bist gesetzlich oder privat krankenversichert und du willst dir den Therapeuten selbst suchen?
Starte direkt eine Google-Suche nach:
„Psychotherapeut [deine Stadt] psychotherapeutische Sprechstunde“
Google wird dir hoffentlich mehrere Adressen niedergelassener Therapeuten in deiner Nähe anbieten, die eine psychotherapeutische Sprechstunde anbieten. Ich rate dir, mindestens drei Therapeuten zu kontaktieren. Am besten du rufst direkt an.
Manche Therapeuten vergeben feste Termine für die psychotherapeutische Sprechstunde. Manche andere haben eine offene Sprechstunde, zu der du ohne Termin hingehen kannst. Ich rate dir, in jedem Fall vorher einen Anruf zu wagen.
Weg 3
Alternativ kannst du deine Krankenkasse anrufen und dort um Unterstützung bitten. Manche Krankenkassen führen eigene Listen mit hilfreichen Adressen und können dich konkret vermitteln. Doch es kann auch sein, dass du an die Kassenärztliche Vereinigung weitergeleitet wirst.
Gehe vorbereitet zum Termin
Mal ehrlich, ein 25 Minuten Termin, auf den du vielleicht vier Wochen warten musst, scheint nicht gerade deiner Situation gerecht zu werden oder? Ich hoffe, dir werden beim Ersttermin gleich 50 Minuten angeboten. Wenn nicht, hoffe ich, dass der zuständige Therapeut die Zeit gut zu nutzen weiß.
Ich rate dir, dich etwas auf die psychotherapeutische Sprechstunde vorzubereiten. Damit hilfst du dem Therapeuten und dir selbst, eure gemeinsame Zeit optimaler zu nutzen. Die Vorbereitung sorgt auch dafür, dass du dich innerlich wieder etwas geordneter fühlst und einen besseren Überblick über deine Situation gewinnst.
Ich habe eine einfache Struktur für dich entworfen, mit der du dich vorbereiten kannst. Dafür habe ich einige Fragen an dich formuliert. Und so kann deine Vorbereitung aussehen:
Schritt 1)
Nimm dir an ein paar Tagen etwas Zeit für dich. Schnapp dir ein Notizbuch und mach dir einige Stichpunkte (oder schreib im Fließtext) zu folgenden Fragen:
- Unter welchen Schwierigkeiten und Beschwerden leidest du und seit wann? Wie hat sich deine Situation in den letzten vier Wochen entwickelt?
- Woran und wie machen sich deine Beschwerden im Alltag bemerkbar?
- Wie schätzt du deine Arbeitsfähigkeit realistisch ein? (Mit realistisch ist gemeint, dass die Mehrheit versucht möglichst lange zu funktionieren, was leider keinem dient.)
- Was hast du bisher selbst unternommen, damit es dir wieder besser geht? Was davon hat geholfen?
- Um deine Situation zu verbessern – was kannst du weiterhin tun? Welche Ideen hast du dazu?
- Welche Art von Hilfe wünschst du dir?
- Notiere dir deine Fragen an den Therapeuten.
Schau dir die Fragen an mehreren Tagen an. Es kann sein, dass dir in drei Tagen andere Details einfallen.
Versuche bei der Beantwortung nicht zu ausschweifend zu werden. Du musst nicht deine Lebensgeschichte in der psychotherapeutischen Sprechstunde reflektieren. Es geht primär um deinen akuten Zustand. Vertraue bitte darauf, dass der Therapeut deine Situation gut einschätzen wird.
Schritt 2)
Im zweiten Schritt kannst du ein paar Angehörige oder dir nahestehende Personen um ehrliches Feedback fragen. Mach dir auch dazu ein paar Notizen:
- Welche Veränderungen sind dir an mir in den letzten vier Wochen aufgefallen?
- Wie wirke ich in den letzten vier Wochen auf dich?
- Wenn du mir einen Rat geben könntest, wie würde er lauten?
Schritt zwei dient der Einschätzung des Fremdbildes. Menschen, die innerlich bereits lange leiden und eine deutliche Verschlimmerung ihres Zustandes erleben, scheinen manchmal im Außen „ganz normal“ zu sein. Hier deckt sich das Fremdbild nicht mit dem inneren Zustand. Wie sieht es bei dir aus?
Entweder es kann beruhigend sein, wenn du dich zum Beispiel super unsicher, beschämt, hässlich und unfähig fühlst und im Außen erfährst du das Gegenteil. Oder aber es sollte alarmierend sein, wenn du im Inneren das Gefühl hast zu zerbrechen und im Außen kommst du souverän und leistungsstark rüber. Eine Diskrepanz im Selbst- und Fremdbild kann in diesem Fall ein Zeichen dafür sein, wie sehr du im Funktionieren-Modus steckst oder wie undurchsichtig deine Fassade geworden ist. Wie schätzt du deine Situation ein?
Der zweite Schritt kann dir auch bei der Entscheidung helfen, mit wem du über deine Beschwerden und Schwierigkeiten sprechen kannst. Ehrlich und offen. Wem könntest du dich anvertrauen? Wer könnte dir zuhören und für dich da sein? Vor allem, wenn es dir schwer fällt über dich mit anderen zu sprechen, kann dir diese „Übung“ mit den Fragen helfen, um den ersten Schritt zu wagen.
Zum Schluss
Laut dem BARMER-Arztreport 2020 hat die psychotherapeutische Sprechstunde für eine gewisse Erleichterung bei Hilfesuchenden gesorgt, denn der Plan scheint aufzugehen: Tendenziell finden Hilfesuchende schneller in die Sprechzimmer der Therapeuten. Patienten scheinen damit zufriedener zu werden mit dem psychotherapeutschen Angebot. Ich bin da ein bisschen skeptisch und HIER kannst du mehr darüber erfahren. Fakt ist, dass Menschen weiterhin und immer noch mehr Informationen brauchen, wozu die Sprechstunde dient und wie sie dieses Angebot optimal für sich nutzen.
Ich danke dir für deine Aufmerksamkeit!
Tatjana
Quellen:
https://www.wege-zur-psychotherapie.org/die-psychotherapeutische-sprechstunde/
https://www.terminservicestellen.com/
In diesem Artikel siehst du Bilder von @Lukás Dlutko, @Markus Spiske und @Dids von Pexels.