„Wird mir eine Psychotherapie helfen? Ist Psychotherapie wirksam? Ober verschwende ich nur wertvolle Lebenszeit und bin danach noch frustrierter, weil es mir nichts gebracht hat?“ – so lauten oft die Bedenken derjenigen, die einer Psychotherapie noch skeptisch gegenüber stehen. Geht es dir ähnlich, dass du die Wirksamkeit einer Psychotherapie hinterfragst?
Skepsis und Zweifel sind ganz natürlich und es ist völlig in Ordnung darüber zu sprechen. Ich behaupte sogar, dass solche Zweifel fester Bestandteil unserer Denkweise über Psychotherapie sind und zu unseren Vorurteilen gegenüber Psychotherapie gehören. Solange wir nicht offener und ehrlicher darüber sprechen, was überhaupt in der Therapie geschieht (oder geschehen darf und kann), werden wir diese Bedenken und Vorurteile nicht abbauen.
Inhaltsverzeichnis
Was ist Psychotherapie nochmal?
Psychotherapie ist eine medizinisch und therapeutisch indizierte Zusammenarbeit zwischen Therapeut und Patient. Sie ist eine wissenschaftlich begründete und auf Evidenzen beruhende Heilbehandlung und Profession. Sie unterliegt festen Standards und einer strengen wissenschaftlichen Qualitätsprüfung.
Psychotherapie ist eine professionelle, intensive und zugleich persönliche Form der Begleitung durch kurz- und langfristige Veränderungsprozesse.
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Was wissen wir darüber, ob und wie Psychotherapie wirkt?
Es gibt inzwischen hunderte Metaanalysen zur Wirksamkeit von Psychotherapie und einige (mehr oder weniger) lesenswerte Bücher zum Thema. Zusammengefasst aus all den Untersuchungen können wir festhalten: Psychotherapie wirkt. Es gibt sowohl kurzfristige als auch langfristige und beständige Effekte der Psychotherapie. Das ist schon mal eine gute Nachricht. Damit können wir ein für alle Mal das Vorurteil abschaffen, wir würden auf der Couch beim Seelenklempner nur unsere Zeit verschwenden. Dem ist nicht so.
Gleichzeitig kann ich mit gutem Gefühl sagen: Was genau die Wirksamkeit herbeiführt und welche Effekte zur Wirksamkeit der Psychotherapie beitragen, ist schwer zu sagen. Denn davon hat die Psychotherapieforschung noch recht wenig Ahnung.
Bei all dem Wissen, was uns zur Verfügung steht, wissen wir auch, dass die Chancen und Grenzen, die Risiken und Nebenwirkungen einer Psychotherapie sich nur schwer erfassen und schlecht verallgemeinern lassen. Obwohl es innerhalb der Psychotherapie festgelegte Regeln, Strukturen und daraus abgeleitete Methoden gibt, liegt jeder Therapie auch ein Zauber inne. Diesen Zauber hat die Forschung bislang nicht entschlüsseln können. Vielleicht ist es auch nicht möglich, diesen Zauber zu entschlüsseln, da die Prozesse innerhalb einer Psychotherapie zu individuell sind und zu sehr von den persönlichen Merkmalen der Therapeuten und Patienten abhängen.
Nur weil Studien zeigen, dass Psychotherapie wirkt, wissen wir nicht automatisch, warum sie wirkt und wie genau diese Wirkung zustande kommt. Das gleich gilt für bestimmte Interventionen, die innerhalb der Therapie eingesetzt werden.
Im Übrigen liest du hier einen Ausschnitt aus meinem zweiten Buch, dem deep dive. Das deep dive ist das erste Therapietagebuch, das ganz konkret dabei hilft die Nachhaltigkeit und Wirksamkeit der ambulanten Psychotherapie zu steigern. Im deep dive beschreibe ich die allgemeinen und die spezifischen Wirkfaktoren der Psychotherapie. Über die allgemeinen Wirkfaktoren handelt dieser Blogartikel.
Welche allgemeinen Wirkfaktoren kennen wir?
Es gibt allgemeine Faktoren, die zu einer gelungenen und erfolgreichen Therapie beitragen und damit die Wirksamkeit der Psychotherapie mitbestimmen. Diese Faktoren sind schulübergreifend und gelten zum heutigen Standpunkt als gut belegt.
Sprich: Ob du eine Verhaltenstherapie, eine systemische Therapie oder eine tiefenpsychologisch fundierte Therapie anstrebst, die folgenden Faktoren wirken sich positiv auf den Therapieverlauf aus:
Therapeutische Beziehung
In deiner Psychotherapie begibst du dich in die Behandlung durch deinen Therapeuten. Dein Therapeut gibt den Rahmen der Therapie vor und lenkt die Prozesse. Du kannst zum gewissen Teil mitbestimmen und mitlenken. In diesem Prozess stehst du im Vordergrund – mit allem, was dich ausmacht. Deine Themen, Probleme und Belastungen, deine Wünsche, Bedürfnisse, Ziele und Vorstellungen, aber auch deine Kapazitäten und Eigenheiten sind im Fokus.
Zwischen dir und deinem Therapeuten entsteht eine therapeutische Beziehung. Diese Beziehung ist an erster Stelle professionell. Aber eigentlich seid ihr zwei „stinknormale“ Menschen, die versuchen einen komplexen Therapieprozess miteinander konstruktiv zu gestalten. Zwei Menschen mit verschiedenen Lebensrealitäten und Persönlichkeiten.
Professionalität hin oder her, die Chemie zwischen euch sollte stimmen. Du musst deinem Therapeuten vertrauen können. Seine Worte und sein Tun müssen bei dir auf Glaubwürdigkeit stoßen. Er muss authentisch und greifbar für dich sein. Und ganz platt gesagt – ihr müsst euch menschlich einigermaßen verstehen und mögen. Das bedeutet nicht, dass ihr euch anfreunden sollt, aber es ist wichtig, dass du dich mit Respekt behandelt und dich gesehen und verstanden fühlst. Je besser diese professionell-menschliche Beziehung funktioniert, desto wahrscheinlicher werden positive Therapieergebnisse. Die Qualität eurer Beziehung ist der entscheidende Faktor dafür, wie gut du kurz- und langfristig von deiner Therapie profitierst.
Die therapeutische Beziehung wurde als einer der wichtigsten Wirkfaktoren in der Forschung lange Zeit unterschätzt. Doch inzwischen ist sich der Forschungsstand einig, dass die therapeutische Beziehung vermutlich der wichtigste allgemeine Faktor für die Wirksamkeit der Psychotherapie ist.
Motivationale Klärung
Bei der motivationalen Klärung steht die Selbstbegegnung im Vordergrund. Das bedeutet: Du lernst, dich besser zu verstehen. Du erkennst, warum du so tickst, wie du tickst. Warum du so fühlst, wie du fühlst. Wie du so geworden bist, wie du jetzt bist. Was du noch erreichen und erleben möchtest. Wie du dich verändern möchtest. Welche Werte dir wichtig sind. Usw.
Zu lernen, dich selbst besser zu verstehen, beinhaltet auch zu verstehen, was zu deiner belastenden Situation geführt hat. Was zur Entstehung und Aufrechterhaltung deiner Probleme beigetragen hat und was dich bisher daran hindert, diese zu bewältigen.
Motivationale Klärung bedeutet: Durch deine Innenschau und dein wachsendes Verständnis und Gefühl für dich selbst, wirst du dir die Fragen beantworten können:
- Was motiviert mich mein Leben zu verändern?
- Wie kann ich diese Motivation aufrechterhalten?
- Welche Schritte bin ich bereit dafür zu gehen?
- Wie kann ich die Therapie aktiv dafür nutzen?
Problemaktualisierung
In der Therapie schaust du dir deine Belastungen und Probleme genau an. Diese Analysen können sich trocken anfühlen, so als ob du irgendwelche Theorien über dich selbst aufstellen würdest. Umso wichtig ist es den Bezug zu deinem Erleben im Hier und Jetzt zu bewahren.
Eine erfolgreiche Therapie lebt davon, dass du deine Probleme erkundest, analysierst und sie vor allem im Hier und Jetzt erlebbar werden lässt.
„Erlebbar“ bedeutet, dass du physisch, kognitiv und vor allem emotional ins Wahrnehmen kommst: Was geschieht, wenn du dich deinen Problemen stellst? Was fühlst du? Welche Gedanken kommen, wenn du dir deine Probleme anschaust? Welche Erinnerungen werden wachgerüttelt? Welche Handlungsimpulse verspürst du? Und wie wirkst du im Außen, während du über deine Themen grübelst?
Problemaktualisierung bedeutet: Dein Innerstes im Hier und Jetzt in Bewegung bringen und ins Spüren kommen. Erst wenn sich dein Inneres bewegt, erst wenn du die Lebendigkeit und emotionale Tragweite deiner Themen spürst, bringst du dich in Bewegung, um deine Situation verändern zu können.
Ressourcenaktivierung
Wenn du in deiner Therapie nur Probleme bis ins kleinste Detail durchkaust, trittst du irgendwann auf der Stelle. Es kann sogar passieren, dass du dich dadurch noch hilfloser, machtloser und überforderter fühlst. Darum ist es extrem wichtig, den Fokus auf deine Stärken, Gaben, nützliche Fähigkeiten, hilfreiche Vorerfahrungen und deine Ressourcen zu legen.
Ein guter Therapieprozess entsteht, wenn du und dein Therapeut hinschaut, was du bereits zur Bewältigung deiner Belastungen und Probleme mitbringst. Als Nächstes überlegt ihr, welche zusätzlichen Ressourcen du aufbauen kannst oder musst. So kannst du neue und kraftspendende Perspektiven über dich gewinnen. Und das, weil du wiederfindest, was längst da gewesen ist oder wozu du längst in der Lage warst.
Du wirst Zuversicht und Motivation gewinnen, wenn du erkennst, dass du über „Werkzeuge“ verfügst, um mit bestimmten Problemen besser umzugehen und dass du in der Lage bist, dir Neues anzueignen, um mehr positive Veränderungen in deinem Leben zu bewirken.
Problembewältigung
Problembewältigung beinhaltet, ins Handeln zu kommen. „Transfer“ durch praktisches Umsetzen in deinem Alltagsleben ist ein wichtiges Stichwort. Dafür kannst du deine vorhandenen Fähigkeiten einsetzen, die du dank der Ressourcenaktivierung erkennst. Darüber hinaus wirst du mit Hilfe deines Therapeuten neue Fähigkeiten erlernen und einüben.
Problembewältigung bedeutet: Du eignest dir neue Kompetenzen an, damit es dir besser gelingt schwierige Situationen und Probleme sinnvoll, zielführend und nachhaltig zu bewältigen. Dazu gehören spezifische Kompetenzen, die mit deinem Krankheitsbild zusammenhängen und allgemeine Kompetenzen, die deine Lebensführung verbessern. Das Ziel ist dich ins aktiven Tun zu bringen, damit du positive Erfahrungen machst und dabei Selbstvertrauen und Selbstwirksamkeit stärkst.
Zusammengefasst
Selbst wenn wir den Zauber einer Psychotherapie noch nicht entschlüsseln können, lässt sich dennoch sagen:
- Psychotherapie ist wirksam. Ihre positiven Effekte sind kurzfristig und langfristig. Sie hilft also auch auf lange Sicht. Es lohnt sich auf jeden Fall, der Psychotherapie eine Chance zu geben.
- Es gibt allgemeine, schulenübergreifende Faktoren, die sich positiv auf den Erfolg und die Wirksamkeit der Psychotherapie auswirken. Es lohnt sich, sich mit diesen zu beschäftigen und darauf zu achten diese Faktoren in der eigenen Therapie zu stärken.
- Eine gute Therapie lebt nicht allein von den fachlichen Kompetenzen eines Therapeuten. Es ist ein Trugschluss zu denken, dass der Therapeut immer weiß, was zu tun ist und die alleinige Verantwortung für deine Gesundung trägt. Die Psychotherapie bietet dir einen sicheren Übungsraum, in dem du vieles über dich und dein Leben lernen und wichtige Prozesse in Gang setzen kannst, um deinem Leben eine bessere Richtung zu ermöglichen. Die Rolle der Patienten als Wirkungsfaktor wurde bislang in der Forschung sträflich unterschätzt. Doch die Zeiten ändern sich und langsam wird der Wissenschaft bewusst, dass Patienten maßgeblich zum Gelingen ihrer Therapie beitragen. Ich bin mir sicher, dass die Zukunft unserer Gesundheitsversorgung darin liegt, Patienten besser auf ihren Therapieprozess vorzubereiten. Eigenverantwortlichkeit, aktive Mitgestaltung und eigenständiges Umsetzen werden unser Gesundheitssystem im digitalen Zeitalter prägen.
Ich danke dir für deine Zeit und Aufmerksamkeit.
Tatjana
Du siehst hier ein Foto von SnapwireSnaps von Pixabay.
1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort
Hallo Tatjana,
ich glaube schon, dass Psychotherapie wirkt, merke aber immer wieder deutlich im Alltagsleben, wie beschränkt ich bin und das die Beschränktheit mich von anderen Menschen entfernt. Die Distanz zu anderen Menschen war früher für mich nicht so wahrnehmbar aber nichts desto trotz mächtig. Jetzt nehme ich sie im Zuge der Therapie deutlicher wahr, weiß aber nicht wie ich diese Distanz überwinden oder zumindest verringern kann. Die Therapie hat also definitiv zu Erkenntnissen geführt nur weiß ich nicht wie ich meinen Wunsch nach Kontakt zu anderen Menschen mit dem Wunsch nach Ruhe in Einklang bringen und mit meinen Möglichkeiten realisieren kann.
Viele Grüße
Kater