Wie zufrieden bist du mit deiner Psychotherapie? Was wirkt sich auf deine Zufriedenheit aus? Oder was würde dich zufrieden machen, hättest du einen Psychotherapieplatz? Genau darum soll es in diesem Artikel gehen. Du bist herzlich eingeladen dir zum Thema „Zufriedenheit in der Psychotherapie“ ebenfalls Gedanken zu machen.
Als Grundlage für diesen Artikel dient der diesjährige BARMER-Arztreport 2020 mit dem Schwerpunktthema Psychotherapie. Wenn du dir den Arztreport in seiner kompletten Ausführung anschauen möchtest, findest du auf dieser Seite einen Downloadlink.
Inhaltsverzeichnis
Wann sprechen wir von Zufriedenheit?
Wenn wir von Zufriedenheit sprechen, so bewegen wir uns in einem breiten Feld von Verständnismöglichkeiten. Grundlegend beschreibt Zufriedenheit einen Zustand unseres persönlichen Wohlbefindens.
Zufriedenheit entsteht als:
- ein kurzfristiger oder langfristiger Gefühlszustand („Ich fühle mich heute richtig zufrieden“ versus „Mit meiner Lebenssituation bin ich insgesamt zufrieden“)
- Prozessergebnis im Sinne einer Zielerreichung oder Erfüllung von Erwartungen („Ich bin zufrieden, dass ich mein Ziel erreicht habe“ oder „Ich bin zufrieden, wie der Termin gelaufen ist“ oder „Ich bin zufrieden mit meinem Therapeuten, er hat sich so verhalten, wie ich es mir gewünscht hätte.“)
- spezifische oder allgemeine Beurteilung bzw. Bewertung („Ich bin zufrieden, wie ich meine Aufgabe für nächte Sitzung gemeistert habe“ versus „Im Großen und Ganzen bin ich zufrieden mit meinem Therapieprozess“)
Jeder Mensch hat ein intuitives Verständnis und eine eigene Definition für Zufriedenheit.
Doch selten machen wir uns wirklich Gedanken darüber, was für uns Zufriedenheit allgemein und spezifisch bedeutet. So auch in der Psychotherapie.
Wie entsteht Zufriedenheit in der Psychotherapie?
Wenn ich nach der Zufriedenheit mit der ambulanten Psychotherapie frage, erhalte ich häufig diese Antwort: „Naja, zufrieden wär ich, wenn die Therapie mir etwas bringt.“ Dieses „etwas“ ist ein sehr dehnbarer Begriff, den ich für dich aufschlüsseln will.
Zufriedenheit in der Psychotherapie kann als Prozess beurteilt werden. Folgende Faktoren tragen dazu bei, Zufriedenheit in der Therapie zu erfahren:
Zufriedenheit in der Psychotherapie entsteht z.B.
- durch das angewendete Therapieverfahren (VT, TP, AP) bis hin zu einzelnen durchgeführten Maßnahmen
- dank der Herstellung eines Krankheitsverständnisses
- durch die Vermittlung wichtiger Informationen zum Ablauf der Therapie, über realistische Ziele, Nebenwirkungen, Symptombehandlung usw.
- über den Zugang zu regelmäßigen Therapiesitzungen oder über die Anzahl der Sitzungen und damit die Länge der Therapie insgesamt
- durch das Vertrauensverhältnis zum Therapeuten
- durch das Gefühl vom Therapeuten ernst genommen, verstanden und gut behandelt zu werden
- wenn sich die Erwartungen aus Patientensicht erfüllen, z. B. in Bezug auf Therapieziele, Behandlungsverlauf oder Übertragung der Therapie-Inhalte auf den Alltag
- bei einer Verbesserung der Symptomatik im Sinne eines Rückgangs in der Intensität oder in der Anzahl der eigenen Beschwerden
- über weitere positive wie negative Nebeneffekte einer Therapie
- usw.
Sicherlich fallen dir noch weitere Punkte ein, wann sich Zufriedenheit in der Therapie einstellen könnte. Deine Ergänzungen oder persönliche Erfahrungen kannst du mir gerne im Kommentarfeld hinterlassen.
Ergebnisse des BARMER-Arztreport 2020
Die Auswertung über die Zufriedenheit in der Psychotherapie findest du im BARMER-Arztreport auf Seite 162. Ich zeige dir die wesentliche Abbildung:
Positiv im BARMER-Arztreport fällt auf, dass in der Befragung zahlreiche Kriterien für Zufriedenheit mit Psychotherapie abgefragt wurden. Darunter viele Punkte, die ich für dich zusammengetragen habe.
Erstaunlich ist, dass bei weitem mehr als 50% der Befragten bei sämtlichen Kategorien angaben entweder „vollkommen zufrieden“ oder „sehr zufrieden“ zu sein. Die Barmer schreibt dazu:
Die Ergebnisse zeigen in allen Bereichen eine relativ hohe Zufriedenheit, auf die Antwortkategorien „weniger zufrieden“ oder „unzufrieden“ entfielen zusammengenommen stets weniger als zehn Prozent. […] Der Grad der Ergebniszufriedenheit korrelierte dabei nicht mit dem Geschlecht oder Alter der Befragten sowie der Zuordnung von Wohnorten zu alten und neuen Bundesländern.
Interessant ist, dass über die Antwortkategorie „teils, teils“ keine Aussagen getätigt wurden.
Leider fehlt diesem Report eine kritische Diskussion der Ergebnisse, sowie eine Stellungnahme, was die Ergebnisse nun für die Praxis bedeuten. Aber das kann und muss dieser Report auch gar nicht leisten.
Vielmehr wird hier ein grobes Bild über den Zustand in der psychotherapeutischen Versorgung gezeichnet, nachdem 2017 die Reform der Psychotherapie-Richtlinien durchgeführt wurde.
Wie aussagekräftig sind diese Ergebnisse?
Wenn ich die Ergebnisse betrachte, so sind sie beglückend positiv und bestärkend für die Zukunft der Psychotherapie.
Trotz allem komme ich nicht umhin mir einige Fragen zu stellen:
- Wie zuverlässig sind diese Ergebnisse?
- Bilden sie wirklich ab, wie es um die Zufriedenheit der Patienten steht?
- Wie reagiert die Betroffenen selbst auf diese Ergebnisse?
- Wenn das wirklich so ist, wie die Zahlen sagen, hätte es nicht längst positive Effekte auf Entstigmatisierung psychischer Probleme und Enttabuisierung von Psychotherapie haben müssen?
- Was fangen wir nun mit diesen Ergebnissen an?
Verstehe mich bitte nicht falsch, ich will den Report nicht schlecht machen. In diesem Report steckt viel Arbeit und diese Arbeit schätze ich! Doch irgendwo in mir lauert die empirische Ausbildung und ich kann nicht anders, als die Ergebnisse kritisch zu betrachten.
Letztlich bist auch du gefragt, dir eine eigene Meinung zum Thema zu bilden. Vor allem, wenn du selbst ambulante Psychotherapie in Anspruch nimmst. Wenn du mit dem Gedanken spielst dich therapieren zu lassen, könnten dir diese Artikel weiter behilflich sein:
- Was ist eine ambulante Psychotherapie?
-
21 Gründe, warum eine Psychotherapie richtig und notwendig ist
- Wann ist eine Psychotherapie wirklich NOTWENDIG? – 5 wichtige Gründe!
Wie aussagekräftig sind nun diese Ergebnisse? Meine Antwort: Der BARMER-Arztreport 2020 zeichnet ein Bild mit einem tendenziell positiven Trend. Nicht mehr, nicht weniger. Wer auf der Suche nach zuverlässigeren und aussagekräftigeren Ergebnissen ist, findet diese in der Psychotherapieforschung. Denn insgesamt bleiben hier zu viele methodische Fragen offen. Auf meine persönlichen Kritikpunkte möchte ich im Folgenden eingehen. |
Messung von Zufriedenheit – eine heikle Angelegenheit
Zufriedenheit ist ein multidimensionales Konstrukt und sehr individuell.
Wer Zufriedenheit messen will, muss sich dessen bewusst sein, dass die Ergebnisse von zahlreichen Faktoren abhängen. Und damit sind nicht Geschlecht, Alter, Bildungsgrad oder Herkunft allein gemeint.
Folgende Faktoren können nicht nur die Zufriedenheit in der Psychotherapie beeinflussen, sondern auch Ergebnisse von Befragungen:
- Bedürfnisse, Erwartungen und Wünsche der Patienten. Zum Beispiel Erwartungen an die Therapeuten und Wünsche an das Vertrauensverhältnis.
- Subjektive Einschätzung der Patienten. Zum Beispiel bezüglich des Schweregrads der eigenen Erkrankung, Einschätzungen über Verlauf, Erfolge der Therapie und die Kompetenz der Therapeuten.
- Persönliche Bewertungs- und Beurteilungsmuster. Zum Beispiel: Ist das Glas nun halb leer oder halb voll? Negative Vorerfahrungen, Vorurteile oder schlichtweg die Tendenz lieber alles etwas negativer zu sehen, um auf Nummer sicher zu gehen.
- Rahmenbedingungen der Psychotherapie. Zum Beispiel das angewendete Therapieverfahren oder einzelne intensive Maßnahmen innerhalb der Sitzungen.
- Situation während der Befragung. Zum Beispiel die Uhrzeit der Befragung, anwesende Personen oder der Raum der Befragung.
- Befindlichkeit und Verfassung der Befragten zum Zeitpunkt der Befragung. Zum Beispiel bei Hunger, Durst, im Zustand einer Erkältung, nach einem Beziehungsstreit oder nach Schokoladengenuss können jeweils andere Ergebnisse rauskommen.
- Schweregrad der psychischen Probleme der Befragten.
- Aktuelle Situation in der Psychotherapie. Zum Beispiel Stagnation, Urlaub oder Ausfall der Sitzungen (z.B. wegen der Corona-Krise)
- Bewusstsein und Reflexionsfähigkeit der Befragten über ihr Verständnis von Zufriedenheit und ihre Erwartungshaltung an die Therapie.
- Antwort-Tendenzen bei der Befragung. Zum Beispiel, wenn Personen zu besonders positiven oder neutralen Antworten neigen.
Ganz im Ernst – es gibt noch weitere Einflussfaktoren. Aber nun merkst du, dass es nicht so einfach ist eine große Umfrage über Zufriedenheit in der Psychotherapie zu starten und dann zu sagen: „Wir haben hier ein klares Bild und aussagekräftige Ergebnisse!“ Das ist leider unzutreffend.
Was bringen dir die Ergebnissen?
Lästern muss ich nun doch. Die >> taz << veröffentlichte ebenfalls einen Artikel zum BARMER-Arztreport 2020 und ganz ehrlich… der Artikel ist mies. Für deine Neugier: du findest den Artikel hier mit dem Titel „Erwartungen oft zu hoch.“.
Ich rate dir die Ergebnisse des Barmer Arztreport mit Vorsicht zu genießen und möglichst neutral zu interpretieren. Sie sollten weder gehyped werden wie „Hey hierzulande finden über 70% aller Patienten ihre Therapie richtig toll!“. Noch sollte man überdramatisieren mit „Oh Schreck, unsere Patienten leiden an überhöhten Erwartungen und sind der Meinung Therapeuten zaubern Probleme weg und deswegen sind die Patienten so unzufrieden.“ Weder das eine noch das andere ist zutreffend und hilfreich.
Hilfreich ist, wenn Therapeuten sich in ihren Praxen ein eigenes Bild machen und ihre Patienten am besten regelmäßig selbst vertrauensvoll und ehrlich befragen.
Hilfreich ist, wenn die Psychotherapieforschung sich weiterhin diesem spannenden und wichtigen Thema annimmt und Nachwuchswissenschaftler ausreichend fördert, um solch komplexe Themen zu erforschen. Wäre es zum Beispiel nicht spannend mehr über die Zufriedenheit von Patienten mit ihrer stationären Psychotherapie zu erfahren? So wie aus dieser Doktorarbeit von 2010…?
Hilfreich ist, wenn du dir Gedanken darüber machst, was du von deiner Therapie erwartest und was es für dich heißt kurzfristig und langfristig mit dem Prozess deiner Therapie zufrieden zu sein.
Danke für deine Aufmerksamkeit!
Tatjana
Quellen:
https://www.aerzteblatt.de/app/print.asp?id=50582
https://www.barmer.de/politik/themenpool/arztreport-2020-228748
https://www.sgipt.org/hm/hm_zuf.htm
https://taz.de/Untersuchung-von-Psychotherapien/!5669686/
In diesem Artikel siehst du ein Foto @Jenna Hamra