Wenn du unter hohem Leidensdruck, innerer Zerrissenheit und Verzweiflung leidest, erscheint eine Psychotherapie wie der letzte Hoffnungsstrahl am Horizont. Doch in einer Therapie wirst du nicht mit Samthandschuhen angefasst, sondern wirst ganz schön gefordert. In einer Therapie musst du ganz schön viel MÜSSEN. Dazu gehört es auch den Erwartungen deines Therapeuten zu folgen. In meinem Artikel „Warum es Patienten nicht immer leicht haben“, habe ich mich kritisch mit Erwartungen von Therapeuten auseinandergesetzt. In diesem Artikel zeige ich dir, wie du die (unausgesprochenen) Erwartungen deines Therapeuten herausfinden kannst. Damit du mehr Klarheit in deiner Therapie findest und dafür sorgst, dass deine Therapie besser für dich verläuft.
Inhaltsverzeichnis
Was von dir erwartet wird
Lass uns zusammenfassen, was auf dich in einer Therapie zukommt:
- Bereitschaft
- Offenheit
- Vertrauen
- Motivation
- Eigenständigkeit
- Reflexion
- Beständigkeit
In Summe wird all das von dir erwartet und für eine gute und erfolgreiche Therapie vorausgesetzt. Ich hoffe inständig, dass es dich nach dieser Aufzählung nicht abschreckt, an einer ambulanten Therapie teilzunehmen. Denn eine Therapie hat mindestens 21 entscheidende Vorteile für dich, wenn es dir aktuell oder seit langem gar nicht mehr gut geht.
Wie du sicherlich merkst, hängt vieles in der Therapie von deiner eigenen Bereitschaft ab. Wenn du nicht für etwas bereit bist, dann wird dich auch niemand zwingen können etwas zu tun.
Wenn du jetzt merkst, dass du nicht bereit bist, so viel in eine Therapie zu investieren oder überhaupt mit einer Therapie zu starten, ist das absolut okay. Dann bist du NOCH NICHT bereit. Das muss kein endgültiger Zustand sein. Es kann sein, dass du in ein paar Wochen oder Monaten anders denkst. Vielleicht hilft es dir, dir die wesentlichen Vorteile und Nachteile einer Therapie bewusst zu machen.
Die Realität der Therapie
Wenn du grundsätzlich bereit bist, eine Therapie zu beginnen oder fortzuführen, auch wenn es mal schwierig wird, wäre doch gut zu wissen, was auf dich zukommt. Dafür dient dieser Artikel. Ich möchte dir ein realistisches Bild vermitteln und dir keinen Bären auftischen. Denn die Realität sieht oft so aus:
- Therapeuten folgen einem Behandlungsplan, den sie für dich entwerfen. Zu diesem Plan gehören deine Diagnosen, die Therapieziele und verschiedene Methoden, um dir bei der Bewältigung deiner Probleme zu helfen.
- Therapeuten stehen oft unter eigenem Zeitdruck und Leistungsdruck. Auch sie haben es mit Erwartungen an sich selbst zu tun. Sie möchten ihren Job gut machen. Und dafür steht ihnen nur eine begrenzte Zeit zur Verfügung.
- Therapeuten sind auch nur Menschen. Und Menschen sind vergesslich, machen Fehler und haben eigene Themen, Schwächen, Probleme, Bedürfnisse, usw. Und vor allem folgen Therapeuten auch ihren Routinen und Gewohnheiten und manchmal sehen auch sie den Wald vor lauter Bäumen nicht. Manchmal stecken sie so tief in ihrer Therapeuten-Rolle, dass sie ganz vergessen, dass auch sie „nur“ Menschen sind.
Das heißt – ab und an vergessen auch Therapeuten über Voraussetzungen einer guten Therapie zu sprechen. Sie vergessen ab und an offen und auf Augenhöhe mit dir zu kommunizieren. Also von Mensch zu Mensch. Oder sie umreißen gewisse Anforderungen, Erwartungen und Voraussetzungen und denken, dass du das Prinzip einer Therapie schon verstanden hast.
Die Folge ist, dass eine gute Aufklärung auf der Strecke bleibt und du dich im Laufe der Therapie allein gelassen, missverstanden oder überfordert fühlst.
Was du jetzt wissen musst
Das letzte, was ich dir wünsche, ist, dass du dich in deiner Therapie übergangen, missverstanden, nicht gesehen oder gezwungen fühlst. Und auf keinen Fall möchte ich, dass du das Gefühl bekommst, dein Therapeut hätte Macht über dich, wüsste mehr als du und würde über dir stehen.
All das lässt sich vermeiden. Und die Person, die das am besten lösen kann, bist du. Und zwar nicht, in dem du erst gar nicht mit einer Therapie anfängst… wenn du das jetzt denken solltest…
Es geht darum, dass du eines verstehst:
In der Therapie geht es um dich. Es geht um dein Wohlergehen. Und letztlich ist eine Therapie eine Dienstleistung, die für dich erbracht wird. Das bedeutet, dass du deine Therapie ganz aktiv mitgestalten kannst und darfst. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt, den du kennen musst. Du bist nicht einfach ein Patient, der machen muss, was ein Therapeut sagt. Du bist eine mündige Person, die Einfluss auf den Therapieprozess nehmen darf. Das bedeutet: Du darfst zu jedem Zeitpunkt deiner Therapie all deine Fragen stellen, deine Bedenken äußern und eigene Vorschläge machen.
Wie du die Erwartungen deines Therapeuten herausfindest
Ich möchte dir vier Anregungen mitgeben, die du überdenken und in deiner Therapie umsetzen kannst. Dabei geht es um deine Eigeninitiative.
#1. Lies diesen Artikel aufmerksam durch.
Überlege, an welcher Stelle du deine bisherigen Erfahrungen mit Therapie wiedererkennst. Wenn du dich wiedererkennst, bist du jetzt bereits erfahrener und damit weiter, als zuvor. Nutze deine Erkenntnisse, damit dir bestimmte Dinge nicht noch ein Mal passieren. Sprich darüber:
– mit deinem Therapeuten.
– mit einer Person, der du vertraust.
Was war vielleicht nicht okay? Wo warst du überfordert oder hast dich gezwungen oder übergangen gefühlt? Wo wäre mehr Aufklärung gut gewesen? Auf diese Weise baust du dir ein gewisses Selbstvertrauen für deinen weiteren Therapieprozess auf und stärkst dein Erleben von Mündigkeit.
Du kannst auch gerne deine Erfahrungen anonym als eigenen Artikel auf meinem Blog teilen. Wie du das machst, kannst du hier nachlesen: Wie du auf meinem Blog ohne Vorkenntnisse einen Artikel veröffentlichen kannst.
#2. Erstelle eine kleine Liste.
Auf diese Liste gehören Stichpunkte, was du mit deinem Therapeuten klären möchtest. Dazu gehören z.B.:
– Welche Wünsche hast du an die Therapie?
– Welche Erwartungen an den Therapeuten hast du?
– Was für ein Verhältnis zu deinem Therapeuten wünschst du dir?
Frag deinen Therapeuten explizit, was auf dich in der Therapie zukommt. Erkläre deine Bedenken und mache deutlich, was dir wichtig ist.
Hier geht es um deine Eigeninitiative und darum, dass du von Anfang an deine Therapie aktiv mitgestaltest.
#3. Stelle von Beginn an konkrete Fragen.
Ich empfehle dir bei Beginn deiner Therapie folgende Fragen an deinen (potenziellen) Therapeuten zu stellen:
– Welche Voraussetzungen gibt es, damit ich von der Therapie profitieren kann? Was muss ich selbst tun, damit die Therapie gut klappt?
– Gibt es etwas, das Sie von mir erwarten, was die Therapie angeht? Z. B. Offenheit, Veränderungs-Bereitschaft oder aktives Mitwirken?
– Ich bin grundsätzlich bereit für eine Therapie, aber ich habe wirklich Bedenken mich einigen Themen zu stellen. Wie werden Sie damit umgehen, wenn ich Angst habe?
– Mir ist es wichtig, dass wir auf Augenhöhe und ehrlich kommunizieren – wie stehen Sie dazu?
Zugegeben, die ein oder andere Frage ist klingt nach einem Bewerbungsgespräch, in dem sich dein Therapeut bewehren muss. So what?
#4. Entlarve Erwartungen.
Sollte deine Therapie bereits fortgeschritten sein, kannst du zu jedem Zeitpunkt deine Bedenken äußern. Z.B. so:
– Ich habe den Eindruck, Sie erwarten von mir, dass ich mich >>>soundso<< verhalte.
– Ich habe den Eindruck, Sie haben ein bestimmtes Bild davon, was ich tun muss und wenn ich das nicht tue, bin ich am Ende verantwortlich.
– Um ehrlich zu sein, fällt es mir schwer, mich menschlich auf Sie einzulassen und ich möchte das gerne mit Ihnen thematisieren. Ich glaube, dass die Therapie sonst für mich nicht gut verlauft.
– Ich verstehe, dass ich etwas verändern muss. Aber ich hab das Gefühl, Sie geben mir nur eine Richtung vor, zu der ich noch nicht bereit bin. Ich möchte gerne über Alternativen sprechen.
Versteckt Erwartungen entlarvst du am besten, indem du deine Gefühle, Bedenken und Eindrücke offen und ehrlich äußerst.
Sage, was dir auffällt, was dich stört und was du dir wünschen würdest.
Du wirst schnell merken, dass du damit viel weiter kommst, als darauf zu hoffen, dass dein Therapeut „schon das Richtige“ tut.
Hat dir der Artikel weitergeholfen? Hinterlasse mir doch ein Feedback im Kommentarfeld.
Danke für deine Aufmerksamkeit!
Du siehst in diesem Artikel Bilder von @Andy Vu, @Jarod Lovekamp, @Stijn Dijkstra und @Alex Azabache von Pexels.