Ratschläge sind auch Schläge sagt man. Doch stimmt das wirklich? Oder besser gefragt: Stimmt es wirklich in jedem Fall? Und warum fällt es Menschen so schwer Ratschläge anzunehmen? In der heutigen Frage der Rubrik 365 Fragen zur Selbsterkundung stellst du dich eine kleinen Reflexion und kannst überlegen, welcher Ratschlag dir (im Nachhinein) doch sehr geholfen hat.
Ratschläge sind auch Schläge?
Für diese Frage bin ich ein bisschen im Internet gesurft und habe interessante Aussagen gefunden:
(Ungebetene) Ratschläge sind eine Grenzverletzung.
Ratschläge sind psychische Gewalt.
Bei (ungebetenen) Ratschlägen geht es nur darum das eigene Ego aufzuwerten.
Derjenige, der Ratschläge verteilt, will den anderen herabwerten, bevormunden oder will, dass sich der andere klein fühlt.
Wer mir einen Ratschlag gibt, traut mir nicht zu selbst auf die Lösung zu kommen.
Fällt dir was auf?
Mich haben viele Artikel zu Ratschlägen wütend gemacht. Ich fand sie furchtbar einseitig.
Wir sind eine Kultur des Auskotzens geworden. Nicht im wörtlichen, sondern im sinnbildlichen Sinne. Negativ zu bewerten, das Haar in der Suppe zu suchen, sich zu beklagen – das ist Alltag. Sich angegriffen, abgewertet, bevormundet, kritisiert oder degradiert zu fühlen – das ist Alltag. Und mir ist durchaus bewusst, dass meine Sätze hart sind. Aber bevor du vom Artikel abspringst, lies bitte weiter.
Die Natur des Menschen
Die Natur des Menschen folgt inneren Motiven, Bedürfnissen, Überzeugungen und Gefühlen. Das zu verstehen und ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, kann enorm hilfreich sein besser mit Ratschlägen umzugehen.
Jeder Mensch hat das Bedürfnis gesehen zu werden. Jeder Mensch hat das Bedürfnis zu helfen bzw. gebraucht zu werden. Psychologisch betrachtet sind diese Bedürfnisse äußerst wichtig, denn sie geben uns Sinn, stärken das Gefühl von Zugehörigkeit, fördern Gemeinschaft und soziales Verhalten. Studien zufolge fühlen sich Menschen zufriedener und glücklicher, wenn sie jemand anderem helfen konnten. Und das kommt nicht daher, dass der Mensch ein egoistisches oder böses Wesen ist, das nur auf seinen eigenen Vorteil aus ist. Es kommt daher, weil der Mensch ein soziales Wesen ist. Diese Bedürfnisse sind bei jedem Menschen mal stärker, mal schwächer ausgeprägt.
Versuche diesen Satz selbst zu beenden: In unserer Gesellschaft, in der das Individuum in der Masse verschwindet und der Mensch sich zunehmend unwichtig und unbedeutend fühlt, gibt es zwangsläufig …
Neutral (also ohne Bewertung) betrachtet, entstehen Ratschläge aus eben diesen Bedürfnissen heraus:
- Helfen wollen
- Gebraucht werden
- Sinn stiftend sein
Natürlich gibt es auch Menschen, die sich von Motiven der Macht leiten lassen und gerne (ungebetene) Ratschläge verteilen, weil sie ihr Wissen, ihre Erfahrungen oder vielleicht auch ihre Überlegenheit unter Beweis stellen wollen.
Grundsätzlich solltest du dich davor hüten jeden Ratschlag oder jede Person, die dir einen (ungebetenen) Ratschlag erteilt, in die Schublade des Besserwissers zu stecken. Es gibt einen Spruch, den ich bei voreiligen Schlüssen sage:
Das heißt nicht, dass jeder Ratschlag immer gut oder hilfreich ist und dich weiterbringt. Es heißt bloß, dass nicht jeder Ratschlag einen negativen Hintergrund hat. Sich also den Kopf darüber zu zerbrechen, warum dir jemand einen Ratschlag erteilt, macht wenig Sinn.
Was kennst du von dir?
Vielleicht kennst du es von dir auch, dass du gelegentlich nicht weißt, ob du dich für einen (ungebetenen) Ratschlag bedanken sollst oder am liebsten sagen würdest, dass du gar keinen Ratschlag wolltest?
Und vielleicht kennst du es auch, dass du dich bei Ratschlägen manchmal genervt, sogar verletzt oder wütend fühlst? Oder dass du dich unwissend, belehrt oder irgendwie ganz klein fühlst?
Vielleicht fühlst du dich dann auch nicht richtig verstanden oder ernst genommen, weil du gar keinen Ratschlag wolltest, sondern einfach einen aufmerksamen Zuhörer gebraucht hast.
Und vielleicht steckst du manchmal so tief im Tunnel deiner Sorgen oder Probleme, dass du gar nicht dazu in der Lage bist über einen Ratschlag nachzudenken oder ihn anzunehmen.
Umgang mit Ratschlägen
Das Problem beim Umgang mit Ratschlägen liegt in der Bewertung und der eigenen Fähigkeit zur Abgrenzung. Diese 6 Fragen sind dabei hilfreich:
1. Wie bewertest du einen Ratschlag?
Wenn du automatisch denkst, dass dich jemand belehren oder bevormunden will oder noch schlimmer, dass jemand dir psychische Gewalt antut, dann hat auch der liebevollste Mensch mit dem besten Ratschlag der Welt keine Chance bei dir. Geh also nicht automatisch vom negativen aus.
2. Wie bewertest du deine Gefühle in dem Moment?
Wenn du dich klein, hilflos oder unwissend fühlst, heißt es nicht, dass du es auch bist. Es sind unangenehme Gefühle, aber sie beschreiben nicht deine Persönlichkeit.
3. Wem gibst du die Verantwortung für deine eigenen Gefühle?
Wenn du dazu neigst diejenige Person für deine Gefühle verantwortlich zu machen, die dir einen Ratschlag erteilt hat, tust du der Person in dem Moment womöglich Unrecht an. Stell dir vor diese Person wollte nicht bewusst oder bösartig, dass du dich wütend, verletzt oder dumm fühlst. Deine Gefühle sind in dir entstanden und du trägst die Verantwortung dafür, mit ihnen adäquat umzugehen. Zum Beispiel durch angemessene Kommunikation.
4. Unter wie viel Reaktionszwang setzt du dich?
Manche Menschen setzen sich selbst unter Druck schnell reagieren zu müssen: Sich schnell bedanken zu müssen, sich schnell eine Meinung über etwas bilden zu müssen, sich schnell rechtfertigen zu müssen oder oder oder. Die Kunst liegt darin, zu verinnerlichen, dass dich niemand zu einer Reaktion zwingt, wenn du einen Ratschlag bekommst oder eine andere Meinung hörst. Du kannst und musst nicht sofort wissen, ob dir der Ratschlag zugutekommt und wie du dazu stehen musst. Bleib einfach höflich und freundlich.
5. Neigst du dazu bei Ratschlägen dicht zu machen und zu blockieren?
Es gibt sie ja – diese „Beratungsresistenz“. Zählst du dich zu den Personen, die sich von anderen ungern „etwas sagen lassen“? Auch hier gilt: Selbst wenn du einen Ratschlag bekommst, keiner zwingt dich dazu ihn anzunehmen. Keiner hält dir eine Knarre an den Kopf und sagt: DU MUSST DAS SO MACHEN. Das spielt sich höchstens auf emotionaler Ebene so ab, wenn etwas in dir z.B. getriggert wird. Aber realistisch gesehen musst du nichts müssen. Vielleicht hast du die innere Überzeugung „Ich muss es alleine schaffen“ und jedes Mal, wenn dir jemand einen Tipp gibt, siehst du rot. Wenn es so ist, passiert es unbewusst. Es würde also helfen sich selbst zu reflektieren und einen Ratschlag einfach neutral stehen zu lassen.
6. Wie kommunizierst du deine Bedürfnisse?
Stell dir vor: Dich fragt jemand wie es dir geht und du erzählst der Person, dass du gerade ganz schön mit einer Sache zu kämpfen hast. Dabei hast du das Bedürfnis, dass dir jemand nur zuhört und nicht deinen Seelenklempner spielt. Dann bekommst du plötzlich doch Ratschläge zu hören, die du gar nicht wolltest und schon fühlst du dich nicht verstanden, nicht gesehen und auch noch bevormundet. Dann mach es dir und der anderen Person einfacher und kommuniziere auch, dass du keine Ratschläge brauchst, sondern einfach ein offenes und empathisches Ohr.
Kleiner Impuls zum Nachdenken: Es gibt eben diese Personen, die sich nicht gut abgrenzen können und dazu neigen sich schnell persönlich angegangen oder kritisiert zu fühlen. Da kann selbst Dalai Lama diesen Menschen einen liebevollen Rat geben und im Nachhinein werden diese Menschen sagen: „Also dieses besserwisserische Arschloch, das glaubt die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben, meint sich anmaßen zu können etwas von mir und meinem Leben verstanden zu haben. Der lebt doch auch nur in seiner Blase und hat sich schön sein Ego aufpoliert, als er mir seinen (Rat)Schlag verpasste. Jetzt fühle ich mich nur noch blöder.“
Und vergiss nicht – Bei Ratschlägen sitzt auch du ab und an im Glaskasten. Ich bin mir sicher, auch du hast mal einen Ratschlag automatisch rausgehauen ohne es böse zu meinen. Einfach, weil du helfen wolltest und einfach, weil es automatisch über deine Lippen ging. Und wer weiß, wie begeistert die andere Person in dem Moment war… Also, wer keine weiße Weste trägt und im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen 😉 Soviel zu „Ratschläge sind auch Schläge“.
#12 Welcher Ratschlag hat dir sehr geholfen?
Kommen wir endlich zu Frage #12:
Welcher Ratschlag hat dir sehr geholfen?
Ich bin mir sicher, zu irgendeinem Zeitpunkt in deinem Leben hast du einen Ratschlag bekommen, der dir im Nachhinein doch sehr geholfen hat. Ja, vielleicht nicht sofort, sondern im Laufe der Zeit.
Wenn du jetzt rückblickend darüber nachdenkst, welcher Ratschlag war es? Bist du heute dankbar oder froh diesen (vielleicht sogar ungebetenen) Ratschlag bekommen zu haben?
Ich danke dir für deine Zeit und Aufmerksamkeit!
Tatjana
365 Fragen zur Selbsterkundung
Mit der Rubrik 365 Fragen hast du die Chance in dich hinein zu spüren, dich zu reflektieren, dich besser zu verstehen und so dir selbst näher zu kommen. 365 Fragen heißt 365 Chancen für deine persönliche Entfaltung oder 365 schätzbare Begleiter für deine Therapie oder deinen Coaching-Prozess.
Hier findest du zur Übersicht aller bisher erschienenen Fragen und weiterer Artikel zur Rubrik.
Hier erfährst du, wie du die Rubrik am besten für dich nutzen kannst. Das Motto lautet: Alles kann, nichts muss.
Hier kannst du nachlesen, warum die Rubrik psychologisch betrachtet so viel Sinn macht.
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2 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Ich finde Ratschläge eher positiv, sofern die Beziehung zueinander stimmt. Meistens hat man doch nur Angst vor versteckter Kritik und Veränderung die in Ratschlägen stecken könnten.
Liebe Lena,
vielen Dank für deinen Kommentar!
Ja, wie oft kommt es vor, dass man sich nicht mehr „mündig“ fühlt, wenn man einen Ratschlag erteilt bekommt? Da kann es gut sein, dass man sich kritisiert fühlt oder das Gefühl bekommt etwas machen zu MÜSSEN. Dabei hat auch das ganz viel mit der persönlichen Bewertung zu tun und nicht in jedem Fall mit dem Ratschlag an sich oder mit der Person, die einen Ratschlag erteilt.
Herzliche Grüße
Tatjana